Am 11. Februar wird es in ganz Europa Proteste gegen das Anti-Counterfeiting Trade Agreement – kurz ACTA – geben. Ein Blick auf die Karte bzw. Avaaz-Petition macht deutlich, wie breit der Widerstand in der Bevölkerung ist. Nach Protesten aus der Bevölkerung haben erst Polen und später auch Tschechien und Lettland die Ratifizierung verschoben und wollen zunächst den Dialog suchen. Heute wurden ebenfalls bekannt, dass Deutschland das Abkommen zunächst nicht unterzeichnen will. Doch warum stößt dieses internationale Abkommen auf so viel Gegenwehr?
Kritik an ACTA
Das Abkommen kann auf zwei Ebenen kritisiert werden: Zum einen geht es um den Inhalt des Textes, dessen erklärtes Ziel es ist, geistiges Eigentum zu schützen und die resultierenden Rechte besser durchzusetzen. Die vereinbarten Maßnahmen betrachten das Problem jedoch einseitig und (un)erwünschte Nebeneffekte finden keine Berücksichtigung. Zudem lassen die Formulierungen und Definitionen die nötige Rechtssicherheit vermissen. Die zweite Ebene betrifft die Art und Weise, wie das Abkommen zustande gekommen ist. Beide Probleme sollen im Folgenden erläutert werden.
Entstehung und Verhalten gegenüber der Öffentlichkeit
Mehrere Jahre lang wurde unter Federführung der USA und Japans unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Die Europäische Union (und damit auch Deutschland) wurde in diesem Prozess durch die Europäische Kommission vertreten – einem Organ, dessen Mitglieder nicht durch den Bürger sondern durch nationale Regierungen und das Europaparlament bestimmt werden. Die Vertragsentwürfe blieben geheim und konnten nur durch inoffzielle Veröffentlichungen einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Die Geheimniskrämerei ging so weit, dass das Europaparlament die Kommission in einem fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag an ihre Transparenz-Pflichten erinnern musste. Auch die Tatsache, dass der Text nicht in bestehenden, nach demokratischen Prinzipien aufgebauten, internationalen Organisationen wie der WIPO verhandelt wurde, ist kritikwürdig. Obwohl die Endfassung (pdf) des Textes veröffentlicht wurde, bleiben in diesem Kontext relevante Dokumente wie Verhandlungsprotokolle und die Einschätzung des Juristischen Dienstes des Europaparlament unter Verschluss oder werden nur stark geschwärzt veröffentlicht.
Auch das Vorgehen auf EU-Ebene ist fragwürdig. So wurde der Beschluss zur Unterzeichnung des Vertrags ohne größere Diskussion im Agrar- und Fischereirat gefasst. Warum ausgerechnet dieses Gremium geeignet sein soll, im Bereich geistiges Eigentum kompetent zu entscheiden, wurde nie erläutert – es bleibt nur die Vermutung, dass die Mitglieder nicht mit dem Thema vertraut waren und daher wenig Widerstand zu erwarten war. Weiterhin wird immer wieder versichert, dass das Abkommen kompatibel mit bestehenden Rechtsvorschriften ist, obwohl es namhafte Gegenstimmen (englisch, pdf) gibt. Gleiches gilt für die Behauptung, bestehende Grundrechte würden durch den Vertrag nicht angetastet werden.
Insgesamt zeigt sich, dass das Vorgehen im Bereich ACTA lange nicht so transparent ist, wie von der Europäischen Kommission gerne behauptet. Doch der aufkeimende Protest zeigt bereits seine Wirkung, denn Kommissionsmitglied de Gucht sah sich genötigt, die Europaparlamentarier aufzufordern, sich nicht von den Einwänden der Öffentlichkeit beeindrucken zu lassen. Interessant ist auch, dass eine Zustimmung des Europaparlaments – der ersten Institution in diesem Prozess, die vom Bürger gewählt und damit demokratisch legitimiert ist – erwartet wird (englisch):
„The vote of „consent“ is likely to take place towards late summer 2012.“
Inhaltliche Kritik
Nun zu den Problemen mit dem eigentlichen Inhalt des Abkommens. Zum einen sind hier die Regelungen zum Internet bzw. dem „digitalen Umfeld“, wie es im Vertrag heißt, zu nennen. Von diesem Teil sind private Bürger innerhalb der EU potentiell am stärksten betroffen. Darüber hinaus gibt es jedoch weitere Kritikpunkte, wie etwa die vage Formulierung des Textes oder die Ausweitung von Zugriffsrechten.
Internet: Durchsetzung von Rechtsansprüchen vs. Bürgerrechte
Bereits im Laufe der Verhandlungen konnte der Druck von Europaparlament und Bürgerrechtsgruppen wichtige Erfolge erzielen. So wurden insbesondere verpflichtende Internetsperren bei wiederholten Urheberrechtsverstößen aus dem Text entfernt. Trotzdem sollen die Vertragsparteien private Kooperationen zur Verhinderung von Verstößen im digitalen Umfeld fördern (Artikel 27, Absatz 3) – diese können durchaus vergleichbare Regelungen (Seite 4, Fußnote 6; englisch, pdf) enthalten. An den Kooperationen werden vor allem Rechteinhaber (bspw. Labels im Bereich Musik) und Internetprovider beteiligt sein. Mit der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung gehen jedoch zwei Probleme einher:
Einerseits werden damit Anreize für die Provider (Frage 2) geschaffen, den Datenverkehr zu überwachen um sich selbst vor möglichen Haftungsansprüchen zu schützen. Eine solche Überwachung steht jedoch nicht nur im krassen Gegensatz zu Regelungen aus der „analogen“ Welt, sondern kann auch eine abschreckende Wirkung hinsichtlich der Wahrnehmung von Grundrechten haben.
Andererseits fehlt die unabhängige Gerichtsbarkeit, die wir heute bei Straf- und Zivilprozessen kennen – der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ gilt dann nicht. Für Betroffene ist es schwer, sich gegen die Vorwürfe zu wehren und am Beispiel Irland (englisch) wird deutlich, dass es die verantwortlichen Internetanbieter nicht so genau nehmen, wenn um die Beweiskraft der Vorwürfe geht. Auch in Frankreich, wo eine Sperrung des Internetanschlusses durch einen Richter abgesegnet werden muss, werden wohl nicht alle potenzielle Fälle auch vor Gericht landen – die zuständige Behörde ist sich ihrer Sache nämlich nicht sicher. Auch wenn es sich bei diesen beiden Beispielen um nationale Gesetze handelt, die nicht aus ACTA resultieren, zeigen sie doch deutlich die Probleme, die mit einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung – wie sie von ACTA gefördert wird – einhergehen.
Weitere Kritikpunkte
Da es sich bei ACTA vorgeblich um ein Handelsabkommen handelt, sollen sie Maßnahmen auf Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß beschränkt sein. Jedoch ist bereits die Definition des Begriffs „gewerbliches Ausmaß“ ist so breit gehalten, dass sie – je nach Interpretation – ohne weiteres auch private Handlungen einschließen kann (Artikel 23, Absatz 1; Hervorhebung hinzugefügt):
„Für die Zwecke dieses Abschnitts schließen Handlungen in gewerblichem Ausmaß zumindest solche Handlungen ein, die der Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils dienen.“
Darüber hinaus sind die Regelungen des Abkommens nicht bindend – ob und in welchem Umfang sie umgesetzt werden, ist nicht abzusehen. Dies erlaubt es Befürwortern des Abkommens, Kritik jetzt abzuwehren und die Regelungen später – mit dem vorgeblichen Hinweis auf Verpflichtungen aus internationalen Abkommen – trotzdem umzusetzen.
Der Vertrag ermöglicht es den Teilnehmerstaaten zudem, die Vorschriften auch auf Transitwaren – also Waren, die weder aus diesem Land kommen noch für dieses Land bestimmt sind – anzuwenden. Dies führt insbesondere dann zu Problemen, wenn Produkte zwar im Zielland, nicht jedoch im kontrollierenden Drittstaat, legal sind. Ein in diesem Zusammenhang oft genanntes Beispiel ist die Verfügbarkeit von Generika in Ländern der Dritten Welt.
Der letzte hier genannte Kritikpunkt betrachtet die Denkweise, die hinter dem Abkommen steht. Kritiker befürchten, dass im Bereich Urheberrecht unbedingt alte Geschäftsmodelle erhalten werden sollen, statt eine dringend benötigte Modernisierung durchzuführen. Die Ratifizierung und Umsetzung des Vertrags könnte diese Anpassung an das digitale Zeitalter – und somit einen Interessenausgleich zwischen Produzenten und Nutzern von kulturellen Gütern – dauerhaft verhindern und statt dessen Rechteinhaber übermäßig stärken.
Abschließende Bemerkungen
Inwiefern wirklich die schlimmsten Befürchtungen wahr werden, lässt sich nicht sicher abschätzen. Allein das bestehende Risiko für Bürgerrechte und ein freies Internet und auch die Vorgehensweise bei der Ausarbeitung des Abkommens sind für mich jedoch Anlass genug, an einer der zahlreichen Demos, die morgen stattfinden, teilzunehmen.